Aktiv in der Mitternachtssonne von Salla, Finnisch-Lappland
Wegen der Hitze! Würde man einem Spanienurlauber erzählen, warum die Sámi im Sommer die Nacht zum Tage machen – ungläubige Blicke wären einem gewiss. Tatsächlich bereiten Paddeln und Wandern dann am meisten Vergnügen, wenn die Sonne mit dem Horizont flirtet. Ausruhen kann man dann tagsüber an einem See.
Paula begrüßt mich in einem leichten Sonnentop. »Vor zwei Wochen habe ich noch Mütze und Handschuhe angehabt und Schnee weggefegt«, sagt die Finnin mit einem Schmunzeln. Ein später Wintereinbruch hatte Lappland noch Anfang Juni mit einem Zuckerguss überzogen. Dann legte Petrus oder vielleicht passender einer der nordischen Götter den Schalter um und schaltete von Gefrierschrank auf Grill.
Zumindest fühle ich mich so, als wir durch die Straßen von Salla laufen. Vermutlich ist jeder, der noch einigermaßen gut zu Fuß ist, an diesem Abend unterwegs. An einer Straßenecke macht eine Band Soundcheck, woanders wird der Karaoke-König gesucht und Bingo gespielt. Die gute Laune der Menschen hüpft durch die Straßen wie der Ball, dem ein kleiner Junge hinterher rennt. An diesem Juli-Wochenende geht man in Salla spät ins Bett – oder gar nicht.
»Guten Appetit!«, wünscht mir Paula ein wenig später, als wir uns zum Frühstück an einen dekorativ gedeckten Tisch im Restaurant Kiela setzen. Und das abends um acht Uhr! Trinken Kaffee, löffeln ein weich gekochtes Ei, legen Rentierwurst und Fisch auf die flachen Roggenbrote und gönnen uns zum Finale ein Croissant mit Moltebeerenmarmelade. Wir brauchen Kraft, wollen die Mittsommernacht durchmachen. Nicht in irgendeiner Kneipe oder Bar, sondern draußen in der Natur.
Die Wochen rund um Mittsommer sind die Zeit, in der die Rentierzüchter tagsüber schlafen und erst am Abend aktiv werden. Wie ihre Tiere. Früher wie heute. Jetzt werden die Rentierkälber markiert. »Doch wenn sie im Gatter umherrennen, besteht die Gefahr, dass sie überhitzen«, erzählt Paula. Deshalb sei man für diese Arbeit in die Nacht ausgewichen. Im Sommer sei das ohnehin die beste Tageszeit mit einem fantastischen Licht, »das muss man einfach mal erlebt haben«, ergänzt die Finnin.
In der Ruhe der hellen Nacht
Wir steigen nach dem Frühstück die wenigen Stufen zu einem Supermarkt hinauf, besorgen uns noch ein wenig Mückenschutzmittel und warten am Safarizentrum ein paar Kilometer außerhalb des Ortes auf unsere Guides sowie zwei Mädels aus Helsinki, mit denen wir auf nächtliche Kanutour gehen wollen. Teemo rumpelt mit seinem alten Jeep über einen Waldweg, der kurz zuvor noch für den Holztransport genutzt worden war. Entsprechend fühlt er sich jetzt auch an. »Der Wagen kann das ab«, sagt er grinsend. Wir fahren auf einen Hügelrücken hinauf, den die Gletscher der Eiszeit aufgeschüttet haben. Rechts erstreckt sich lichter Kiefernwald, links ein in der Sonne glitzernder See. Unser See, der Hangasjärvi. Kurz darauf schleifen wir die bunten Boote hinunter zu dem Gewässer. Stellen die wasserdichten Tonnen in die Mitte, schnappen uns die Paddel und stoßen uns vom Ufer ab. Ein paar Paddelschläge später sind wir schon in der Mitte des langgestreckten Sees. Die Sonne lässt die Wolken am Himmel erglühen. Eine magische Stimmung liegt über dem Wasser. Ganz ruhig und doch lebendig wirkt die Natur. Ein Entenpaar lässt sich vom leise plätschernden Wasser unseres Kanus alarmieren und nimmt schimpfend Reißaus. Die Schwanenfamilie am anderen Ufer dagegen lässt sich durch unsere drei Boote nicht irritieren und dümpelt friedlich dahin. Wir verlieren das Zeitgefühl, tauchen tief ein in die Stimmung des Abends. Nahezu lautlos gleiten wir durch das Schilf am Ende des Sees, folgen einem kaum erkennbaren Wasserweg, legen an einem Steg an. Die beiden Guides haben sich eine Schutzhütte mit Feuerstelle als Ziel für unseren Ausflug ausgesucht. Zuerst wird gehackt und gezündelt, dann gegrillt. Diese typisch finnischen Würstchen, die man daheim an der Fleischtheke sicherlich liegen lassen würde – schmecken hier unglaublich lecker.
Ob es die Sonne, die mystische Mittsommerstimmung oder die beiden Mädels aus Helsinki sind, die Teemo und Kari übermütig werden lassen, bleibt ungeklärt. Doch die Vorführung, wie stabil die Boote auf dem Wasser liegen, fällt ins Wasser. Sprichwörtlich.
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