Im Rentierschlitten durch Salla, Finnisch-Lappland

Für die Samí war es früher ein Alltagsgefährt, für mich jedoch ist die Fahrt auf einem Rentierschlitten durch die grandiose verschneite Natur des Nordens etwas Besonderes – die Übernachtung in einer Wildnishütte inklusive.

»Hallo Jokke«. Doch Jokke hebt nicht einmal den Kopf, von einer irgendwie geröhrten Antwort ganz zu schwiegen. Nun gut, das wäre vielleicht zu viel erwartet. Jokke ist ein Rentier. Ein stattliches Männchen mit prächtigem Geweih, neun Jahre alt »und damit im besten Rentieralter«, wie Oupi sagt. Der Finne könnte Modell stehen für eine Waldläufer-Geschichte. Lederjacke und Lederhose, am Gürtel ein Messer, den Kopf mit einer Pelzmütze gegen den eisigen Winter Lapplands geschützt, dazu ein zufriedenes, ausgeglichenes Lächeln. »Ich fühle mich wohl hier draußen« sagt der ehemalige Waldarbeiter, der nun mit Touristen in den Wald fährt und nicht mehr mit dem Vollernter.

Wir sind eine kleine Gruppe, die mit den Rentierschlitten hinausgleiten wird in die Wälder rund um Salla, einem kleinen Ort in Nordfinnland, gelegen in prächtiger Landschaft ganz in der Nähe der russischen Grenze. Mit Paula, der örtlichen Tourismuschefin, hatte ich am Tag zuvor noch einen Ausflug auf einen Aussichtsberg am Stadtrand gemacht. Sie hatte auf eine Hügelkette im Osten gezeigt und auf den See Onkamojärvi, in dessen nordöstlichstem Zipfel die Saiblinge bereits in russischem Wasser schwimmen. Und dann war eine Wolkenfront mit Schneegestöber gekommen und hatte uns in ein gemütliches Langläufer-Café am Fuße des Berges vertrieben.

Linke Hand – Kurve rechts

Von diesen Wolken ist nichts mehr zu sehen. Der Himmel ist blau, ganz selten wird die wärmende Aprilsonne von kleinen, weißen Wolkenfetzen verdeckt, die im leichten Wind über den Himmel segeln. Ich fange in meinem Thermoanzug an zu schwitzen, als ich dem Rentier zaghaft das Halfter anlege. So ganz vertraut bin ich mit Jokke noch nicht, und auf die Spitzen der Geweihe müsse man immer aufpassen, hatte Oupi gesagt. Jokke erweist sich jedoch als sehr gutmütig. Bewegt sich auch nicht von der Stelle, als das Gestänge eingeklinkt wird, das zum Schlitten führt.

Das Kufengefährt ist unübersehbar schon seit vielen Jahren im Einsatz. Plastik sucht man hier vergebens. Stattdessen pures Holz, das ein wenig knarzt, als Jokke langsam lostrabt. »Lauft ein paar Meter neben dem Tier her und setzt euch dann in den Schlitten« hatte Jokke geraten. Und so sitze ich kurz darauf auf einem weichen und wärmenden Rentierfell und lasse »mein« Rentier die Arbeit machen.

Das Tier liebt es gemütlich. Während vor einen Schlitten gespannte Hunde lospreschen, sobald Leinen und Anker gelöst sind, muss man Jokke fast schon bitten, sich in Bewegung zu setzen. »Da darf man auch einmal schreien«, hatte Oupi lachend geraten. Doch das ist nicht nötig. Willig folgt Jokke dem Schlitten des Wildnisführers. Meine Bedenken, ob das Tier denn auch meinen Befehlen folgen werde, tauen mit jedem Meter weg wie der Schnee in der Frühjahrssonne. Es gibt eigentlich nichts zu befehlen, die Strecke ohnehin klar. Wir folgen einer Schneemobilspur, alles andere wäre in dem weichen Frühjahrsschnee viel zu anstrengend und zeitraubend.

Den Tieren kann man sogar die Richtung angeben. »Wenn du die rechte Hand rausstreckst, dann läuft das Rentier nach links, und umgekehrt«, erklärt Oupi die Kunst, Rentierschlitten zu steuern.

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